Quartiersarbeit – Lüneburg Stadt

Wir wollen immer wieder auf Entdeckungsreisen gehen: Quartiere in Lüneburg vorstellen, Menschen, die sich vor Ort engagieren, zu Wort kommen lassen. Informationen, Reportagen, Interviews in loser Folge…

Tafeln. Spielen. Reden.

Das Paul-Gerhardt-Haus lädt ALLE ein.

Diakonin Antje Stoffregen

„Geh aus, mein Herz, und suche Freud!“ – so dichtete der Liederdichter, nach dem die evangelisch-lutherische Paul-Gerhardt-Kirchengemeinde in Lüneburg Neu Hagen benannt ist. Lange Zeit war sie geprägt als Kasernenstandort und schon 26 Jahre bekannt mit dem Angebot der Kindertafel. Die Gemeinde „geht aus“ und wirkt als Kirche im Stadtteil: „Gastfreundschaft und Begegnung ist ein Grundton des Evangeliums“, sagt Diakonin Antje Stoffregen.

Die Nachbarschaftsgemeinde

„Tschüß, Ibrahim!“ verabschiedet Antje Stoffregen einen Jungen, der aus dem Gemeindehaus stürmt. Nachmittags, wenn die Kindertafel “ schließt, herrscht Trubel auf dem Kirchplatz: Schüler:innen, Eltern, Ehrenamtliche, verschiedene Generationen, Kulturen, Religionen.

Eingang Paul-Gerhardt-Haus

Diakonin Antje Stoffregen, seit drei Jahren als Leiterin des Paul-Gerhardt-Hauses und der Kindertafel hier, führt mich durch die Kirche. Ein zweckmäßiger, schlichter Raum aus dem Jahr 1963, hinter dem Altar ein Mosaikbild der Arche Noah. „Alles zu groß heute, der Unterhalt viel zu teuer.“  Gemeindeglieder und Soldaten der Schlieffen- und Theodor-Körner-Kaserne, die früher die Reihen füllten, erzählt sie, sind verschwunden, Studenten gekommen, junge Familien, darunter auch viele Migranten.

Kindertafel heute, 20 Kinder an jedem Schultag.

Am Anfang stand die Kindertafel: ein Mittagstisch für Kinder aus benachteiligten Familien im Stadtteil. 1995 von Pastor Wesenick ins Leben gerufen, durch von Birgit von Paris ehrenamtlich weitergeführt, bald überregional bekannt. Gesundes Essen, Hausaufgabenhilfe, Unterstützung von Eltern beim amtlichen Papierkrieg.

Während die klassischen kirchlichen Aufgaben – Gottesdienst, Taufe, Konfirmation, Begräbnisse – weniger wurden, wuchsen der Gemeinde andere zu: Gemeinwesenarbeit im Stadtteil. In den letzten Jahren ist daraus ein klares Konzept entstanden. http://www.paul-gerhardt-lg.de 

Das Konzept der Nachbarschaftsgemeinde

Voller Begeisterung spricht Antje Stoffregen von den Aktivitäten. Jeden Freitag „Essen für alle“, während der Pandemie vorübergehend ausgesetzt, in der Kirche lädt nun eine aus Spenden finanzierte mobile Küche zum gemeinsamen Kochen und zur Tischgemeinschaft ein. In der Kindertafel entstand der „Lernraum“, Hausaufgabenbetreuung für jüngere und ältere Kinder. Vor dem Eingang zur Kirche steht der „Fairteiler“ für Lebensmittel. Mithilfe von Förderungen wurde eine Fahrrad-Rikscha angeschafft, freitags für Einkaufsfahrten zu buchen, donnerstags bringt sie ältere oder mobilitätseingeschränkte Menschen zum Café auf dem Kirchplatz.

Begegnung, miteinander ins Gespräch kommen, das ist das Wichtigste.

Das Paul Gerhardt Mobil

„Und wo bleibt die Kirche?“, frage ich Antje Stoffregen. „Alles ergibt sich aus dem Alltag“, antwortet sie. Über den Reformationstag oder das Zuckerfest redet man beim gemeinsamen Essen. Im „Alltagsgottesdienst“, auch das ein neues Format, greift die Diakonin Themen des Lebens auf, Einsamkeit in der Pandemie oder der „Tag des Fahrrads“. Dazu gibt es eine biblische Geschichte. Keine langen Vorträge, ein Austausch eher. Als eine ehrenamtliche Köchin der Kindertafel starb, haben Kinder und Erwachsene über den Tod und religiöse Rituale geredet. „Gespräche, Seelsorge, Lebensbegleitung – das geschieht im Alltag und am 1. Sonntag im Monat feiern wir einen ganz normalen Gottesdienst. Traditionen bewahren – auch das ist wichtig!“

Mobile Küche. Eine vielfältige Nutzung der Kirche ist hier möglich.

Das Sterben ist „ein Vermeidungsthema“, sagt Antje Stoffregen. Leider hat die Gemeinde Terrain verloren, Aussegnungen und Beerdigungen werden nur selten nachgefragt. Ein Besuchsdienst für Menschen in der letzten Lebensphase wäre wünschenswert. Gespräche über die letzten Dinge, da kann Kirche ihre Stärke entfalten – und den interreligiösen Dialog im Quartier suchen. Antje Stoffregen: „Kirche im Stadtteil – das ist immer im Prozess und lebt von der Beteiligung der Menschen selbst. Was ist uns wichtig im Miteinander? Was kann und will ich dafür tun? Wie können die Vereine und Institutionen stärker zusammenwirken?“

Wer sich ehrenamtlich im Paul-Gerhardt-Haus engagiert, tut dies oft nicht aufgrund einer kirchlichen Bindung, sondern weil hier ein guter Platz ist, die Arbeit Sinn und Kontinuität hat. In der Pandemie sind 50 Freiwillige aus allen Altersgruppen dazu gekommen. Viele leben übrigens nicht im Quartier. Die junge Frau zum Beispiel, die gerade den Fairteiler putzt, ist aus Reinstorf angeradelt.